Motivation in der Berufsorientierung
„Gemeinsam mit dem Kind, nicht für das Kind“
Oft wirkt es so, als hätten viele Jugendliche keine Lust, sich mit ihrer Berufswahl zu beschäftigen. Aber ist das wirklich so? Wie können Sie als Eltern unterstützen? Ein Experteninterview mit Prof. Dr. Julia Dietrich.
Prof. Dr. Julia Dietrich promovierte 2010 an der Universität Erfurt zu Elternverhalten in der Berufswahl. Ihre Forschungsinteressen sind unter anderem alltägliche psychologische Prozesse des Lernens und der Entwicklung sowie Übergänge im Bildungssystem und von dort in den Beruf. Seit April 2024 hat sie die Professur für Empirische Bildungsforschung an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt inne. I Foto: Christian Klenk
Welche Rolle spielt Motivation für Jugendliche in der beruflichen Orientierung?
Zwei Punkte sind hier wichtig: Der eine ist die Motivation für eine bestimmte berufliche Richtung. Hier geht es um die inneren und äußeren Anreize für den Beruf. Typisch für innere Anreize sind Spaß und Freude an der Tätigkeit. Es kann aber auch das Interesse am Thema sein oder dass man etwas macht, das wichtig für die Gesellschaft und sinnstiftend ist. Die typischen äußeren Anreize sind ein sicherer Job und guter Verdienst. Eine Aufgabe der Berufswahl ist es, seine eigenen Prioritäten zu finden.
Der zweite Punkt, in dem Motivation in der Berufswahl wichtig ist, ist die Motivation für den Prozess der Berufswahl. Die Jugendlichen sollen berufswahlkompetent werden. Denn es geht nicht nur darum, Wissen über Berufe zu haben, sondern zu erkennen, dass das ein wichtiges Thema ist, das den Jugendlichen jetzt selbst betrifft.
Ein weiterer Motivationsgrund ist das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, die Berufswahl zu meistern. Wenn sich der Jugendliche das nicht zutraut und nicht weiß, wie er zu einer Entscheidung kommen soll, kann das ein riesiges Hemmnis sein.
Gibt es eine Erklärung dafür, warum Jugendliche scheinbar eine geringe Motivation bei der Berufsorientierung haben?
Im Einzelfall können viele Gründe für eine geringe Motivation sprechen. Ein Faktor ist, dass die Aufgabe, sich mit Berufsorientierung auseinanderzusetzen, nicht selbst bestimmt ist, sondern von außen kommt. Hinzukommt, dass im Jugendalter sehr viele solcher Aufgaben von der Gesellschaft an die Jugendlichen gestellt werden: Sie sollen unabhängig von ihren Eltern werden, lernen, wie man romantische Beziehungen eingeht, erfolgreich die Schule abschließen, wirtschaftlich verantwortungsvolle Mitglieder der Gesellschaft werden, demokratische Werte entwickeln und sich dann noch um ihre berufliche Zukunft kümmern. Das kann überfordern.
Da die Berufswahl von außen an sie herangetragen wird und eine Deadline hat – das Ende der Schulzeit – kann es auch sein, dass sie sich jetzt noch nicht betroffen fühlen. Es gibt aber auch Jugendliche, die eher planungslos und hoffnungslos sind. Generell sind Unsicherheiten immer ein Hemmnis der Motivation.
Lässt sich wissenschaftlich einschätzen, ob die heutige Jugend aufgrund der wirtschaftlichen Lage und der allgemeinen Welt situation mehr Zukunftsängste hat und deswegen weniger motiviert ist, sich um ihre Zukunft zu kümmern?
Das scheint sich laut der Sinus-Jugendstudie 2024 nicht zu bestätigen. Demnach zeigen die Jugendlichen trotz multipler Krisen gedämpften Optimismus. Subjektiv betrachtet gehe es den meisten Jugendlichen nicht schlecht und ihre Sorgen seien meist privater Natur.
Wodurch lassen sich Jugendliche besonders motivieren?
Es gibt verschiedene Faktoren. Der Erste ist: Man braucht ein Ziel. Das kann das große Ziel sein – ich werde Arzt. Eine gute Strategie kann aber sein, sich kleinere Ziele zu setzen. Hier können Eltern gut gemeinsam mit ihren Kindern brainstormen, was solche Ziele sein könnten.
Erfolgserlebnisse sind auch motivierend. Sie machen Spaß und halten so den Prozess im Gang. Sie treten ein, wenn der Berg, den man dafür erklimmen muss, nicht zu hoch ist, das Ziel also nicht zu groß ist. Das sind vor allem Prozessziele, zum Beispiel herauszufinden, was man gut kann, oder sich mit bestimmten Menschen auszutauschen. Sie können simpel und für jeden unterschiedlich sein.
Darüber hinaus kann man versuchen, Aspekte zu finden, die einem vielleicht doch Spaß machen. Ein persönliches Beispiel: Bewerbungen schreiben fand ich immer doof, aber sie hübsch zu gestalten, hat mir Spaß gemacht. Außerdem kann sich der Jugendliche versuchen, darauf zu konzentrieren, warum das jetzt nützlich ist. Eine weitere Methode ist, sich selbst zu belohnen, wenn man ein Ziel erreicht hat. Man kann auch unmotivierende Dinge gemeinsam mit anderen tun. Denn wenn man etwas Doofes mit seiner besten Freundin zusammen macht, ist es gleich viel weniger schlimm.
Wie können Eltern bei der Berufsorientierung unterstützen?
Was Eltern konkret tun können, ist, ihrem Kind Autonomie zu geben. Sie sollten also ihr Kind selbst bestimmen lassen, was der nächste Schritt sein soll und auch selbst entscheiden lassen, welcher Beruf es werden soll. Das kann zu Konflikten führen, aber Eigenverantwortung der Jugendlichen ist sehr wichtig. Als Zweites ist es für Eltern wichtig, dem Kind Vertrauen zu vermitteln und ihm zu sagen, dass man daran glaubt, dass es das schafft. Als Drittes können Eltern versuchen, Rahmen und Struktur zu geben. Das ist ein Balanceakt, denn man sollte nicht zu direktiv festlegen, was für das Kind das Beste ist. Ein wichtiger Grundsatz: Immer gemeinsam mit dem Kind und nicht für das Kind.
Wir nennen das „Berufswahlbegleitungskompetenz“. Dabei gibt es unterschiedliche Unterstützungsfacetten. Das ist zum einen die emotionale Unterstützung, also dem Kind vertrauen, es wertschätzen, Empathie entgegenbringen und Stabilität zu bieten. Daneben gibt es Unterstützungsarten, die sachorientiert oder instrumentell sind: Wenn man Wissen hat oder weiß, wo es Informationen gibt, das weiterzugeben. Zudem kann man gemeinsam zu Angeboten wie zu Berufsmessen gehen, dem Kind vor Ort dann aber die Führung überlassen. Mein letzter Punkt ist, dass sich Eltern selbst zurücknehmen sollten: Sie sollten immer offen für die Berufswünsche des Kindes sein. Priorität hat immer das, was das Kind äußert.
Wie können Eltern bei Absagen und anderen Rückschlägen
reagieren, um die Motivation aufrechtzuerhalten?
Es sollte zuallererst darum gehen, zu schauen, was die Bedürfnisse des Kindes sind. Braucht es emotionale Unterstützung? Dann können Eltern zum Ausdruck bringen, dass sie darauf vertrauen, dass ihr Kind den Bewerbungsprozess meistern oder eine Entscheidung für einen Beruf oder ein Studium treffen wird. Wichtig ist auch zu erkennen, dass nicht jeder Rückschlag gleich schlimm sein muss. Sie gehören zum Prozess dazu. Manchmal kann es wichtig sein, dabei zu unterstützen, durchzuhalten, also zum Beispiel das Berufsziel beizubehalten. Das ist gerade dann der Fall, wenn die Rahmenbedingungen eigentlich gut passen und es trotzdem drei Absagen gab. Dann sollten Eltern dabei unterstützen, den Rückschlag wegzustecken und weiterzumachen. Wenn aber die Rahmenbedingungen super ungünstig sind, kommt vielleicht der Punkt, dass die Unterstützung dahingeht, neue Ziele zu finden und über alternative Berufswünsche nachzudenken.